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DoT 2021 - Tour des Agrumes

DoT_2021Nach zwei Jahren Corona-Verzicht, fand in diesem Jahr wieder eine Days-of-Thunder Tour statt, nämlich die "Tour des Agrumes". Der seltsame Tour-Name wird sich im weiteren Verlauf des Artikels noch klären. Zum dritten Mal in der Club-Historie fiel die Wahl auf eine gemütliche Flussfahrt. Da wir den Canal-du-Midi und die Loire bereits unter den Kiel genommen hatten, sollte nun die Saone, 35 km südlich von Dijon befahren werden. Dazu charterten wir bei Le Boat die Corvette C-56 mit zwei Doppelschlafkabinen, zwei Fahrrädern und einem Gasgrill für das Oberdeck.

Torsten und Udo reisten mit dem Auto an, während Ralf sich mit Zug und Taxi der Marina in Saint-Jean-de-Losne am Samstag, dem 21. August 2021, näherte. Da die beiden bereits um 13 Uhr am Bestimmungsort ankamen, durften sie die Einführungszeremonie und die Einkäufe für die Flusswoche erledigen. Ralfs geplante Ankunftszeit (16:45 Uhr) scheiterte an nicht vorhandenen Taxis am Bahnhof von Dijon. Mit halbstündiger Verspätung traf ich im Hafen an den Stegen von Le Boat ein; drei Minuten später stachen wir in See. Von den weiteren Abenteuern dieser Fahrt berichtet dieser Artikel.

Nun ja, eine Flussfahrt ist eine ruhige Angelegenheit, die wenig Aufregung verspricht und in erster Linie der Erholung dienen soll. Im Grossen und Ganzen ist das tatsächlich so. Man gleitet mit ca. 10 km/h über die Wellen und muss sich keine Sorgen machen. Da die Saone ein recht breiter Fluss ist und sich der Gegenverkehr in Grenzen hält, kann man unbesorgt die idyllische Landschaft an den Ufern geniessen. Die Gegend 'Burgund und Freigrafschaft' ist von Landwirtschaft und langweiligen französischen Käfern geprägt. Ein Besuch der wenigen Orte, die man passiert, lohnt sich eher nicht. Zu gross ist die Gefahr von kurzzeitigen Depressionen, ausser man steht auf die militärische Ausbildung des jungen Napoleons (Auxonne).

Konzentrieren wir uns auf die Highlights der Tour. Der Anreisetag war heiss und schwül, weshalb sich gegen Abend Gewitter bildeten. Nachdem wir nach meiner Ankunft endlich den Hafen verlassen konnten, fuhren wir noch eine Stunde lang den Strom aufwärts in westlicher Richtung. Zur Dämmerung suchten wir einen geeigneten Anlegeplatz an den Gestaden der Saone. Nachdem wir mit zwei Heringen und einem Fäustel das Boot an Land abgespannt hatten, durften wir das Treiben auf dem Fluss würdigen. Eine Notiz ist das fränkische Partyboot wert, das einige Zeit später an uns vorbeizog. Die sechs Jungs hatten drei 50-Liter Bierfässer, einen Stromgenerator, ein weisses Partyzelt und sehr laute Schlagermusik an Bord. Obwohl der Fremdschäm-Level kurzzeitig auf Stufe 10 hochschnellte, gönnten wir den fränkischen Sängern ihren Spass.

Kommen wir zurück zu "heiss und schwül". Unsere erste Nacht an Bord wurde von einem heftigen Gewitter mit sehr vielen Blitzen begleitet. Eine Grundregel von kleinen Schiffen aller Art lautet: "sie sind niemals dicht". Ich verbrachte die Nacht mit einem grossen Kochtopf und einem Suppenteller im Bett, um den eintretenden Regen aufzufangen. Apropos Schlafen, die Corvette bietet zwei Doppelbett-Kabinen, eine im Bug und eine im Heck. Diese Betten sind allerdings so knapp bemessen und mit nur einer Zudecke ausgestattet, dass man sie nur frisch Verliebten zumuten kann. Da Udo, Torsten und Ralf sich schon seit geraumer Zeit kennen, ist die Anforderung der frischen Liebe nicht mehr gegeben (wir arbeiten vielmehr auf der Ebene der Schnarch-Prävention). Zum guten Glück erklärte sich Torsten *strong* bereit, die Nächte auf dem Salonboden zu verbringen. Eigentlich wollte er nur die Tauglichkeit seiner neuen Iso-Matte unter Beweis stellen. Nach anfänglichen Kälte- und Härtegefühlen, will Torsten heute nichts Anderes mehr.

Das bisschen Haushalt funktionierte an Bord tadellos. Kochen, Abräumen, Abwaschen, Putzen könnte man als Schweizer Uhrwerk bezeichnen; das lief wie geschmiert und war gut verteilt. Besonderer Erwähnung gebührt jedoch Udos täglicher Nachmittags-Tee mit ausgewähltem Gebäck. Wir haben es niemals vorausgesehen; er konnte uns an jeden Tag aufs Neue damit überraschen. Tatsächlich haben wir jeden Abend auf dem Boot gekocht und gegessen; die Restaurants der Uferorte konnten uns nie davon überzeugen, gegen Abend eine Ausfahrt zu dritt mit zwei Fahrrädern zu unternehmen.

Am zweiten Tag begann das Schleusen; der Höhepunkt jeder Flussfahrt. Das ist der Moment, in dem Männer zu Kindern, Managern, Fussvolk und Versagern werden. Alle Schleusen auf der Saone werden automatisch betrieben. Da muss man sich schon extrem dumm anstellen, um etwas falsch zu machen (geht immer). Damals (gute alte Zeit) auf dem Canal-du-Midi, mussten wir die Schleusentore von Hand öffnen und schliessen; da war Expertise und Kraft gefragt. Heutzutage ist das Schleusen eine willkommene Abwechslung im Alltag der Flussfahrenden.

Trotzdem können vor, während und nach dem Schleusen Situationen auftreten, die hier besser nicht aufgeschrieben werden sollten. Da Schrift keine Gnade kennt, dokumentiere ich gerne alle Momente. Nach dem heissen Wetter am ersten Tag kühlte die Luft auf angenehme 22-24 Grad ab. Allerdings wehte eine frische und böige Brise. Diese ergriff vor einer Schleuse einen der weissen Plastikstühle auf unserem Oberdeck, woraus sogleich eine "Stuhl-über-Bord"-Lage ausgerufen wurde. Udo steuerte eine souveräne "Mann-über-Board" Wende (Halse?) und Torsten fischte den Windflieher mit dem Bootshaken wieder an Bord. Nun war der Stuhl sauber.

Wenige Minuten später wurde es ernster. Bei der Einfahrt in eine Schleuse, dreht man an einem dicken und langen Kunststoffschlauch, der an einem Querseil seitlich, oder mittig über dem Kanal hängt. Man fährt auf das Ding zu, peilt es rechts oder links an und achtet darauf, dass der Schlauch keine Weingläser über Bord fegt. Durch das Drehen des Schlauchs erhält die Schleusensteuerung die Information, dass ein Boot schleusen möchte. Das wird durch eine blinkende Lampe vor der Schleuse angezeigt. Nun gilt es abzuwarten, bis andere Schiffe herab oder hinunter geschleust haben. Diese Prozedur kann auch einmal eine halbe Stunde in Anspruch nehmen, je nachdem wie viel Verkehr herrscht. In unserem Fall mussten wir am rechten Ufer vor der Schleuse anlegen, um unsere Chance abzuwarten. Endlich war es so weit, die anderen Boote fuhren aus der Schleuse hinaus und wird hatten freie Fahrt voraus: Go Udo, go!

Leider zeigte die Betätigung des Gashebels keine Wirkung. Die Schiffsschraube schraube auf Hochtouren, dennoch bewegte sich die Corvette C-56 keinen Zentimeter vorwärts. Wir mussten einsehen, dass der Kahn auf Grund gelaufen war. Erfahrene Seeleute gehen mit solchen Situationen besonnen um, zumal wir auf der Loire vor vielen Jahren in einer ähnlichen Situation steckten. Da hilft nur eines, Weinflasche öffnen, einschenken, zuprosten und die Lage gründlich besprechen. Leider waren wir dieses Mal nicht so komfortabel gelagert, da die Schleuse auf uns wartete.

Unsere Misere blieb nicht unbeobachtet. Nach kurzer Zeit kam der Schleusenwärter mit Esel und Schafen angelaufen, bewaffnet mit einem langen Rundholz. Funfakt: der Esel war offensichtlich ein Schafhüte-Esel, was jedoch nichts an unserer Situation änderte. Auch der Schleusenwärter mochte das Boot nicht freizubekommen, obwohl er die Hebelwirkung des langen Pfahls trefflich einsetzte. Torsten hatte sich mittlerweile auf die andere Seite des Kanals begeben und versuchte eine doppelte Seillänge aufzufangen, die wir ihm wieder und wieder zuwarfen. Trotz eines Bootshakens konnte er das Seil nicht aus dem Wasser fischen, was unserer bescheidenen Schwungkraft geschuldet war. Wir erwogen das Seilende mit einer wassergefüllten Weinflasche (davon hatten wir genug) zu beschweren, um dem Seilwurf mehr Moment zu verleihen. Schlussendlich hatte Ralf sich schon halb ausgezogen, um das Seil schwimmend auf die andere Seite zu befördern, als Udo der finale Wurf gelang. Doch alles Ziehen und Reissen am Seil veränderte die Lage des Bootes nicht. Erst des Schleusenwärters Traktor (der zum Glück auf der richtigen Seite des Kanals stand) versprach Abhilfe. Zwischen dem Feststecken und dem Freiziehen lag jedoch das Anknüpfen unseres Seils am Traktor. So glücklich wir über den Einsatz des Schleusenwärters waren, so konsterniert waren wir über seine Fähigkeiten, ein Seil an einem Traktor zu befestigen. Es verstrichen (wertvolle) Minuten, bis ihm dies gelang. Statt einen massiven und hohen Poller als Umlenkung für den Freizug zu verwenden (orthogonal), entschied sich der gute Mann für die tangentiale Version. Mir lief der Schweiss über das Gesicht, bestand doch die Gefahr, dass der Traktor uns im flachen Winkel von einer Untiefe in die nächste ziehen könnte. Man darf französische Schleuser nicht unterschätzen; das Unternehmen "Befreiung der Corvette" gelang, worauf wir uns mit dem Kauf von einer Kiste Rose (aus der Region; ungeniessbar) bedankten.

Den Point of no Return erreichten wir am Dienstagabend im Ort, dessen Name aus sechs Wörtern besteht: Scey-sur-Saône-et-Saint-Albin. Von dort aus fuhren wir dieselbe Strecke zurück, damit wir am Freitagabend wieder die Marina in Saint-Jean-de-Losne erreichen konnten. Die Flussfahrt an sich, ist eine entspannte Tätigkeit, die viel Zeit für Diskussion über weltbewegende Themen lässt. So verbrachten wir die Zeit mit Gesprächen in hoher Auflösung. Diese wurden leider jäh von einer defekten Oberbordsteuerung unterbrochen. Der Gashebel zeigte keine Wirkung mehr auf die Drehzahl des Motors. Das Problem trat während der Fahrt auf, was ein gewisses Risiko bedeutete. Man will kein manövrierunfähiges Schiff in der Mitte eines Flusses haben. Zum Glück funktionierte die Unterdecksteuerung noch einwandfrei. Nachdem Torsten telefonischen Kontakt mit der Service-Crew von Le Boat aufgenommen hatten, wussten wir, dass wir unter der Brücke X auf den Mechaniker zu warten hatten. Aus den versprochenen anderthalb Stunden bis zur Ankunft des Reparateurs wurden drei Stunden. Der Defekt bestand in einem gebrochenen Bowdenzug zwischen dem Gashebel und dem Motor. Zum Glück hatte der Mechaniker einen neuen Bowdenzug im Auto, sodass das Ersatzteil nach einstündiger Arbeit eingebaut war und wir nach insgesamt 5 Stunden wieder in den Fluss stechen konnten.

Eines Morgens wachten wir im Ort Gray auf, hoben die beiden Fahrräder von Bord und besorgten die Einkäufe für die nächsten Tage. Udo und Ralf fuhren von Laden zu Laden und kamen mit Baguettes, Rauchwaren und zwei Kisten Weisswein unter den Armen zurück zum Anlegeplatz unseres Bootes. Kurz bevor wir an den Fluss kamen, hörte ich hinter mir ein Scheppern und Fluchen. Die Sattelstange an Udos Fahrrad hatte sich aus dem Stützrohr gebogen und Udo zu Fall gebracht. Wie nicht anders zu erwarten war, setzte Udo die Unversehrtheit der Weinkiste über seine eigene Gesundheit. Der Held bog seinen Körper um den Wein und vermochte den Glasbruch durch ein menschliches Schild abzuwenden. Der Wein blieb heil, Udo nicht. Die blutigen Schürfwunden am Bein waren das Eine, der verstauchte Fussknöchel das grössere Übel. Er wäre kein Udo, hätte er die Tränen des Schmerzes nicht geschluckt. Torsten und Ralf taten ihr Bestes, um Udo nachhaltig zu pflegen und zu bedauern.

Wo wir gerade beim Wein sind; beim Einkaufen lasen wir uns immer die hintere Etikette auf den Flaschen durch, um den geeigneten Tropfen auszuwählen. Dabei stiessen wir oft auf das seltsame Wort "agrumes". Wir mussten im Wörterbuch nachsehen, bevor wir wussten, das der Begriff "Zitrusfrüchte" bedeutet, was bei einem Sauvignon Blanc die Geschmacksnote ist. Somit wäre auch geklärt, wie es zum Namen dieser Tour gekommen ist.

Im weiteren Verlauf der Reise ergaben sich keine weiteren Probleme. Wir genossen den Sonnenschein an Deck; frönten dem burgundischen Weisswein und liessen Gott einen Franzosen sein. Apropos Gott, auch dieses Theme wurde hochauflösend besprochen. Obwohl wir einen halben Tag durch die Reparatur verloren hatten, liefen wir am Freitagabend pünktlich in den Ausgangshafen ein. Udo steuerte die Corvette gekonnt in die endgültige Parkbucht und wir verbrachten den letzten Abend mit braunen Gesichtern, verstauchten Gelenken und einem Lächeln im Gesicht.